Postfordismus, Globalisierung und die Zukunft der Demokratie

Werner Bonefeld

Einleitung

Seit Mitte der 80er Jahre orientiert sich die politisch-ökonomische Forschung an den Leitbegriffen Postfordismus und Globalisierung. Seit Ausbruch der Krise der kapitalistischen Akkumulation Ende der 60er Jahre werden ständig neue Fragestellungen und Leitbegriffe wie Risikogesellschaft, Postmoderne, desorganisierter Kapitalismus, postindustrielle Gesellschaft, Postfordismus und Globalisierung aufgebracht, ohne die sich die aktuellen Veränderungen angeblich nicht verstehen lassen. In diesem Text geht es mir aber nicht um die Gründe für die inflationäre Erfindung neuer Fragestellungen [vgl. »Die Politik des neuesten Trends« von Werner Bonefeld in Wildcat-Zirkular 38; Anm. d. Übers.], sondern um Joachim Hirschs Beitrag zur Globalisierungsdebatte und die politische Bedeutung seines Ansatzes.

Hirschs Arbeiten hatten immer große Bedeutung. Das gilt für seine Beiträge zur Staatsableitungsdebatte der 70er Jahre, zur Debatte um das Modell Deutschland und zur Analyse der neuen sozialen Bewegungen und zum Postfordismus. Sein neues Buch Der nationale Wettbewerbsstaat ist da keine Ausnahme. In diesem Buch präsentiert er nicht nur eine revidierte Version seiner alten Ableitung der Staatsform, sondern er analysiert auch die Krise des Fordismus, die politische Ökonomie der Globalisierung und ihre Auswirkungen auf den Nationalstaat. Vor allem aber entwikelt er ausgehend von den Folgen der Globalisierung für die Zukunft der Demokratie einen neuen Begriff von emanzipatorischer Politik.

Mein Papier besteht aus drei Hauptteilen. Im ersten Teil stelle ich Hirschs Sicht der Globalisierung und seine Auffassung vom nationalen Wettbewerbsstaat vor und versuche eine Bewertung. Meines Erachtens leidet seine eigentlich vielversprechende Analyse darunter, daß sie auf einer schematischen Sicht der kapitalistischen Entwicklung beruht. Im zweiten Teil untersuche ich seinen Vorschlag eines radikalen Reformismus. Ich vertrete die These, daß seine Neubestimmung von emanzipatorischer Politik letztlich nur auf die Übernahme bürgerlicher Ideologie hinausläuft. Im Schlußteil nehme ich die Globalisierungs-Orthodoxie und ihre Demokratisierungspolitik parteiisch unter die Lupe. Damit will ich den Weg für eine kritische Debatte freimachen.  

Hauptthemen und -thesen

Hirsch entwickelt eine vielschichtige Argumentation, in der er eine Theorie des kapitalistischen Staats mit dem Regulationsansatz verbindet. Sein Ziel ist eine materialistische Analyse des sich verändernden Verhältnisses zwischen dem Nationalstaat und der globalen Ökonomie. Seine Argumentation läßt sich wie folgt zusammenfassen: Die Globalisierung sei als neoliberale Strategie zur Lösung der Krise des Fordismus entstanden. Es bestehe ein innerer Zusammenhang zwischen Postfordismus und Globalisierung. Die Deregulierung und Flexibilisierung des Kapitals habe zu einem globalen Restrukturierungsprozeß des Kapitals geführt, der scheinbar über den Nationalstaat hinausgegangen sei: Der postfordistische Staat beruhe nicht auf einer »geschützten« nationalen Ökonomie, sondern müsse global unreguliertes Kapital auf sein Gebiet locken. Den postfordistischen Staat definiert Hirsch als »Wettbewerbsstaat«. Die Globalisierung habe die Nationalstaaten dazu gezwungen, die Wohlfahrtsgarantie des fordistischen Staats aufzukündigen und stattdessen neoliberale Politikmodelle zu übernehmen, um die Gesellschaft im Wirtschaftskrieg um Kapitalinvestitionen zu mobilisieren. Bei dieser Entwicklung blieben nicht nur die ArbeiterInnen und die von der Wohlfahrt Abhängigen auf der Strecke, sondern auch das demokratische System selbst: Die Globalisierung untergrabe die Demokratie im klassischen Sinne. Der demokratische Staat werde von einem »effizienten« Staat abgelöst, der bei der Regulierung sozialer Forderungen Marktkriterien betone und demokratische Werte und Verpflichtungen hintenüber fallen lasse. Wenn Hirsch also dafür plädiert, innerstaatlich wie international den demokratischen Einfluß auf die kapitalistische Entwicklung wieder zu stärken, dann geht es ihm in erster Linie darum, aus dem Übergang zum Postfordimus und aus dem Postfordimus selbst eine viel demokratischere und menschlichere Form von Kapitalismus zu machen. Er meint, daß die neoliberale Politik der Globalisierung in sich widersprüchlich sei und zu einem globalen Apartheidsystem führe. Daher hält er die Wiederbelebung der Demokratie für eine Überlebensfrage. Kurz gesagt hält er die Globalisierung selbst für unausweichlich und unaufhaltsam, ihre genaue »Gestalt« aber für noch offen.

Die Krise des Fordismus und der Übergang zum Postfordismus

Hirsch setzt den Kapitalismus des 20. Jahrhunderts mit dem Fordismus gleich. An dieser Stelle muß ich seine Analyse des Fordismus nicht ausführlich behandeln, denn sie folgt weitgehend seinen früheren Arbeiten auf diesem Gebiet (siehe Hirsch/Roth 1986 und Hirsch 1991) [1]. Im Rahmen dieses Papiers geht es vor allem um die Verbindung zwischen der Krise des Fordismus und dem Aufkommen der Globalisierung. Der Fordismus wurde laut Hirsch Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre durch das Auftreten einer »strukturellen« Krise untergraben. Kern dieser Krise sei eine Verbindung eines strukturellen Rückgangs der Kapitalrentabilität in den Metropolenländern mit einer wachsenden Destabilisierung der internationalen Regulation gewesen, die zur Dauererscheinung geworden sei und wiederum die Krise in den einzelnen Nationalstaaten verschärft habe (84). [2] Die Krise des fordistischen Kapitalismus sei auch eine Kredit- und Finanzkrise gewesen. Ursache der überschüssigen Geldliquidität sei die ökonomische Stagnation gewesen (85). Die Erschöpfung der fordistischen Technologie habe zum »tendenziellen Fall der Profitrate« geführt, und die entgegenwirkenden Tendenzen des Fordismus seien zu schwach gewesen, um diesen Fall der Profitrate aufzuhalten. Um es mit Clarke (1991) zu sagen, versteht Hirsch dieses Gesetz als deterministisches Gesetz der Entwicklung des Kapitalismus und des Übergangs von einem Entwicklungsstadium zum anderen. Die Erschöpfung der technologischen Grundlage des Fordismus habe nicht nur zum Fall der Profitrate, sondern auch zur Aufblähung des Finanzkapitals geführt. Dieses Finanzkapital habe mit Hilfe des Neoliberalismus die Deregulierung und Flexibilisierung der globalen Finanzmärkte erzwungen und die weltweite Beweglichkeit des Produktivkapitals auf der Suche nach profitablen Anlageplätzen rund um den Erdball finanziert und damit die Integrität der Nationalökonomien untergraben. Hirschs Analyse geht nicht auf die Widersprüchlichkeit dieser Trennung zwischen Geld- und Realakkumulation ein. Für ihn ist das neoliberale Globalisierungsprojekt nur ein verschärfter Kampf zwischen verschiedenen Kapital-»Fraktionen« um die Vorherrschaft. Auf das krisenhafte Auseinanderfallen von Geld- und Realakkumulation geht er überhaupt nicht ein. [3] Daher sieht er die kapitalistische Krise nur als funktionales Problemlösungsmoment und als Vehikel zur Rekonstruktion der Gesellschaft nach Verwertungsgesichtspunkten. [4] Für Hirsch verläuft der Widerspruch nicht zwischen der Arbeit als Quelle des Werts und der monetären Akkumulation von Reichtum, einer Akkumulation, die Schulden auf die zukünftige Ausbeutung aufnimmt, weil die gegenwärtige Ausbeutung von Arbeit nicht die der Akkumulation von Geld entsprechenden Werte liefert. Deswegen sieht Hirsch die Trennung zwischen Geld- und Realakkumulation »eher als Anwachsen der Macht des Kapitals ... und nicht so sehr als eine Manifestation der Unfähigkeit des Kapitals, die Arbeitskraft zu unterwerfen« (Holloway 1995: 54).

Obwohl Hirsch behauptet, daß eine Analyse des Kapitalismus eine Analyse von Klassenverhältnissen sei, macht er für die Krise des Fordismus nicht die Klasse und somit den Klassenkampf, sondern lediglich die im »Kapital« selbst angelegten strukturellen Widersprüche verantwortlich. Wie Jessop (1985) stellt Hirsch sich den »Klassenkampf« als Kampf zwischen besonderen Kapitalen und Kapital-»Fraktionen« vor. Daher hängt für Hirsch der Konflikt innerhalb des Staatsapparats direkt mit gegensätzlichen Kapitalinteressen (vgl. Clarke 1991: 44) und die Veränderungen im Verhältnis zwischen Ökonomie und Politik mit den Bedürfnissen der herrschenden Kapitalfraktionen zusammen. Bei Hirsch fehlt jede Kritik der politischen Ökonomie des Finanzkapitals. Für ihn stehen Finanzkapital und Produktivkapital lediglich in einem Konkurrenzverhältnis, während ihre gemeinsame Grundlage, die wertbildende Macht der Arbeit, aus seinem begrifflichen Rahmen herausfällt.

Die »Globalisierung« sieht Hirsch als Lösung der Krise des Fordismus. »Die Logik der neuen, \'postfordistischen\' Akkumulationsstrategie besteht also im Kern in einer Rationalisierung und Flexibilisierung durch Globalisierung« (90). Die Liberalisierung und Deregulierung der internationalen Geld- und Kapitalbeziehungen habe mithin einen Globalisierungsschub ausgelöst, der das »Gesicht des Kapitalismus« verändert habe (7). Die Globalisierung untergrabe die staatszentrierte Akkumulations- und Regulierungsform des Fordismus: Das Kapital habe sich von den Zwängen der nationalen Ökonomie befreit und somit seinen in der fordistischen Ära angenommenen nationalen Charakter verloren (85). Hirsch definiert den Fordismus als Typ von Kapitalismus, der sich durch die Vorherrschaft einer nationalen, staatszentrierten Kapitalregulierung und -akkumulation im Rahmen nationaler Ökonomien ausgezeichnet habe. Den Postfordismus definiert er im Gegensatz zum Fordismus: Er zeichne sich durch eine globale Kapitalakkumulation aus. Hirsch argumentiert vor dem Hintergrund der Situation in Deutschland und hat daher nur einen sehr eingeschränkten Begriff von Globalisierung. Die britische »Nationalökonomie« war z.B. schon immer »global«, und Hirsch sagt selbst, die fordistische »Ära« habe auf der globalen Reichweite oder Hegemonie der USA beruht. Hirschs Darstellung des Fordismus als nationales und des Postfordismus als globales Projekt kapitalistischer Akkumulation wirkt daher nicht nur schematisch, sondern scheint auch seinem eigenen Begriff von Fordismus zu widersprechen, wonach der Fordismus eigentlich ein globales System war, das auf der weltweiten Ausbreitung amerikanischer Produktionsmethoden, in den USA ansässiger multinationaler Konzerne und natürlich der amerikanischen Währung, des Dollar, beruhte. In diesem Sinne bezeichnet der Ausdruck »Fordimus« höchstens die »Globalisierung« der fordistischen Prinzipien.

Laut Hirsch nimmt die Globalisierung dem fordistischen Staat die Möglichkeit, die Ökonomie durch Recht und Geld zu regulieren (199): Die Regierungen stünden der globalen Ausbreitung des Kapitals und seiner Suche nach profitablen Bedingungen jenseits des Nationalstaats hilflos gegenüber. Dabei wirft die These, daß der Staat die Ökonomie nicht mehr wie in fordistischen Zeiten regulieren könne, zunächst einmal die Frage auf, ob der fordistische Staat seine »Nationalökonomie« tatsächlich regulieren konnte. Natürlich »reguliert« der kapitalistische Staat die Ökonomie durch Gesetz und Geld. Aber er tut das auf widersprüchliche Art und Weise, indem er die Widersprüche des Kapitals in politischer Form reproduziert (Clarke 1988, 1997; Bonefeld 1992, 1993). Hirschs Darstellung der Auswirkungen der Globalisierung auf den Nationalstaat läuft auf eine schematische Gegenüberstellung von Fordismus und Postfordismus hinaus: Während im Postfordismus der Nationalstaat die Ökonomie immer weniger regulieren könne, habe sich der fordistische Staat eben dadurch ausgezeichnet, daß er die Ökonomie regulieren konnte. Damit überschätzt Hirsch aber generell die Fähigkeit des - fordistischen oder nichtfordistischen - kapitalistischen Staats, das Kapitalverhältnis zu kontrollieren. [5] In seiner Ableitung der Staatsform am Anfang des Buches zeigt Hirsch selbst überzeugend, warum die Staatsform - wie er sagt - strukturell nicht in der Lage ist, das Kapitalverhältnis zu kontrollieren. Seine Definition von Fordismus und Postfordismus fällt hinter diese Erkenntnis zurück.

Globalisierung bedeutet für Hirsch, daß »der Staat« immer mehr dem Diktat der »Standortsicherung« untergeordnet wird. Das schränke die Bewegungsfreiheit des Nationalstaats ein und entziehe somit den für die sozialdemokratische Ära des Fordismus bestimmenden »liberaldemokratischen Institutionen« »entscheidende Grundlagen« (7). Den postfordistischen Staat bezeichnet Hirsch als »nationalen Wettbewerbsstaat«. Damit wiederholt er Cox\' These, daß die Globalisierung zur »Unterordnung der Binnenökonomien unter die angeblichen Anforderungen einer globalen Ökonomie führt. Ob sie wollen oder nicht, müssen sich die Staaten zunehmend vor einem nebulösen Etwas verantworten, das als globale Ökonomie personifiziert wird. Diese äußere Abhängigkeit müssen sie vor ihrer eigenen Öffentlichkeit mit dem neuen Globalisierungs-, Interdependenz- und Wettbewerbsfähigkeitsgerede verschleiern« (Cox 1992: 27). Hirsch sieht den Wettbewerbsstaat als Verlängerung des fordistischen »Sicherheitsstaats«. [6] Der Wettbewerbsstaat versuche in Konkurrenz zu anderen Staaten, dem Kapital die richtigen Bedingungen zu bieten, um global bewegliches Kapital auf sein nationales Territorium zu locken und es dort zu halten. [7] Daher gerate der »Wettbewerbsstaat« in Konflikt mit demokratischen Regierungsverhältnissen. Der Wettbewerbsstaat habe das demokratische Projekt einer »gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« aufgegeben und reagiere nur noch auf Kapitalforderungen und -vorlieben - ohne Rücksicht auf die sozialen und ökologischen Folgen. So mobilisiere der Wettbewerbsstaat alles und jeden, um sein nationales Territorium und sein Volk für den Wirtschaftskrieg um Kapitalinvestitionen zu rüsten.

Widerstand gegen diese Entwicklung scheint nicht in Sicht zu sein: die neuen sozialen Bewegungen hätten zuerst die Krise des Fordismus beschleunigt und seien dann nach ihrem sozialen Aufstieg zu einer der wichtigsten Stützen der postfordistischen Transformation des Kapitalismus geworden. Die Arbeiterbewegung sei der Krise des Fordismus zum Opfer gefallen und als historischer Akteur von der Bühne abgetreten. Trotz fortbestehender sozialer Konflikte und andauerndem Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Restrukturierung seien diese Kämpfe fragmentiert und hätten uneinheitliche Ziele. Die Krise des Fordismus habe die Fragmentierung der Gesellschaft verschärft, indem sie eine solidarische Vorstellung von gesellschaftlicher Entwicklung untergraben habe, die nach Hirschs Auffassung offensichtlich konstitutiv für den Fordismus war. Hirsch wiederholt Andersons Behauptung, daß »es heute ... eine massive Asymmetrie zwischen der internationalen Mobilität und Organisation des Kapitals und einer historisch noch nie dagewesenen Auflösung und Fragmentierung der Arbeiterschaft [gibt]. Die Globalisierung des Kapitalismus hat den Widerstand gegen ihn nicht zusammengebracht, sondern fragmentiert und ins Abseits gestellt« (Anderson 1992: 366). [8] In ähnlicher Weise stellt Hirsch sich die Globalisierung als Macht vor, die - von ihm als Rassismus, Sexismus, Nationalismus und schließlich soziale Apartheid bezeichnete - politische, soziale und kulturelle Spaltungen vertieft. Die postfordistische Transformation des Kapitals treibe »die gesellschaftlichen Antagonismen« »auf die Spitze« und beute sie aus (181). Er behauptet, daß der Globalisierung kein revolutionäres Subjekt im klassischen Sinne gegenüberstehe. Ein solches Subjekt gibt es nach Hirschs Meinung nicht, und daß die »radikale« Linke immer noch für die revolutionäre Sache eintritt, hält er für anachronistisch (182). Die Globalisierung des Kapitals habe den Grundlagen des Klassenkampfs den Boden entzogen, denn die soziale Solidarität sei individualisierten Reaktionen auf das globale Diktat des Kapitals gewichen: Paßt Euch an, oder das produktive Kapital wandert ab in andere Wettbewerbsstaaten. Der Internationalismus scheint also die Seiten gewechselt zu haben. Das Kapital benutze den Internationalismus, um die Linke zu entwaffnen, denn diese stütze sich strategisch auf den Nationalstaat und seine Nationalökonomie! Das hört sich so an, als sei die Staatsfixierung der Linken früher richtig gewesen und als entziehe ihr die Globalisierung erst jetzt die Grundlage: Die Globalisierung bedrohe die Demokratie und die Linke müsse sich den Globalisierungskräften anpassen, indem sie dem globalen Niveau angemessene demokratische Werte und Verfahren entwickle. Hirschs Behauptung, es gebe kein revolutionäres Subjekt, bedeutet - egal ob sie stimmt oder nicht - mehr als nur eine Tatsachenbehauptung. Diese Behauptung soll seinen radikal-reformistischen Standpunkt legitimieren. Da es ja kein revolutionäres Subjekt gebe, könne die Linke bestenfalls ein reformistisches Programm aufstellen. Eng zusammen mit der legitimierenden Funktion dieser »Tatsache« hängt die Denunziation »negativer Kritik« als einer von vornherein unpolitischen Übung. Anscheinend dürfen theoretische Fragen nur dann gestellt werden, wenn sie konstruktive Vorschläge zur kapitalistischen Reproduktion enthalten.

Die politische Ökonomie der Globalisierung und der Wettbewerbsstaat

Die Globalisierung stellt laut Hirsch das ökonomisch-politische Projekt des Neoliberalismus dar (9): ein umkämpftes Projekt, das immer noch auf Widerstand stoße. Das neoliberale Projekt der Globalisierung sei nach dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods in den USA entstanden. Der US-Kapitalismus habe auf die Liberalisierung des internationalen Handels gesetzt und neue Räume für Investitionen erschlossen, um vor allem gegenüber Japan wieder wettbewerbsfähig zu werden (85). Das goldene Zeitalter des Fordismus seien die 60er Jahre gewesen. In Wirklichkeit war für die 60er Jahre aber die Liberalisierung der globalen Austausch- und Handelsbeziehungen bestimmend. Das nach dem Zweiten Weltkrieg etablierte laissez-faire-Prinzip wurde in den 50er Jahren nur stückweise verwirklicht: Die volle Konvertibilität anderer Währungen mit dem Dollar - einer der Stützpfeiler des Bretton-Woods-Systems - wurde 1958 erreicht, und die GATT-Verhandlungen über die Senkung der Handelszölle, d.h. die Liberalisierung des internationalen Handels, wurden in den frühen 60er Jahren unter Kennedy zum zentralen Punkt der internationalen Wirtschaftspolitik.

Weiter behauptet Hirsch, die postfordistische Globalisierung beruhe in gewissem Maße darauf, daß multinationale Konzerne die Hauptrolle übernähmen und die Nationalstaaten zur Anpassung an ihre Forderungen und Bedürfnissen zwängen. In Wirklichkeit nahm die Internationalisierung des Handels, der Investitionen und des Finanzkapitals aber schon in den 50er und 60er Jahren stark zu (siehe Murray 1971). Einen Höhepunkt erreichte der Abfluß privaten und öffentlichen Kapitals in den 50er Jahren. Die Ausbreitung der in den USA ansässigen Multis ging während des sogenannten goldenen Zeitalters des Fordismus zurück, dafür nahm allerdings ab Mitte der 60er Jahre die Internationalisierung europäischer und japanischer Firmen zu (Brett 1985). »Internationalisiert« wurde im und vor dem goldenen Zeitalter des Fordismus nicht nur Produktivkapital. Auch Banken - vor allem US-amerikanische - »globalisierten« sich in den 60er Jahren. Britische Banken operierten schon seit der Kolonialzeit des britischen Imperialismus in globalem Maßstab. Die wirkliche Liberalisierung des Handels begann Brett zufolge in den 60er Jahren. Ausgehend von dieser Entwicklung stellte Murray (1971) die These auf, daß sich das zunehmend interdependente Weltwirtschaftssystem und der Nationalstaat territorial immer weniger deckten. Andere fragten, ob nicht »der Nationalstaat als ökonomische Einheit passé« sei (Kindleberger 1969: 207). Damit scheint Kindleberger auf einer Linie mit Hirschs Vorstellung vom postfordistischen Staat als Wettbewerbsstaat. Anders als Hirsch meint Kindleberger aber die 60er Jahre, die laut Hirsch das goldene Zeitalter des Fordismus waren.

Es stimmt also nicht, daß der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems zu einer neuen Form des Kapitalismus, nämlich zur Globalisierung geführt habe. Die »Globalisierung« vollzog sich bereits in den 50er und 60er Jahren, direkt im Anschluß an die »Kriegsökonomien« des Zweiten Weltkriegs. Insofern ist die Idee der nationalen Ökonomie ein Mythos (Radice 1984). Die keynesianische Periode oder der Fordismus war also durch eine Internationalisierung des Kapitals gekennzeichnet. Diese Internationalisierung vollzog sich vor dem Hintergrund einer stabilen Nachfrage nach Privatinvestitionen, abgesichert durch die Nationalstaaten als letztinstanzliche Kreditgeber. Kennzeichen der sogenannten fordistischen Ära waren mit anderen Worten also nicht die politische Planung der nationalen Kapitalakkumulation und die Defizit-Finanzierung, die üblicherweise mit dem Keynesianismus assoziiert werden. Der Keynesianismus im Sinne einer Politik der Defizit-Finanzierung der Nachfrage trat erst ab den 70er und vor allem in den 80er Jahren auf, d.h. in einer Zeit, in die er nach dem Fordismus-Postfordismus-Schema gar nicht hineingehört.

Wenn der »Fordismus« also jeder realen Grundlage entbehrt - was bleibt dann vom »Postfordismus« übrig? [9] Hirsch definiert den Postfordismus als das Gegenteil des Fordismus. Das macht den Postfordismus zu einer Art Kristallkugel (vgl. Gambino 1996), die nichts über die Gegenwart aussagt, sondern bestenfalls ein bruchstückhaftes Bild der Vergangenheit liefert. Außerdem scheint sich der Postfordismus als »Nicht-Fordismus« vor allem durch »präfordistische« Verhältnisse auszuzeichnen (vgl. Bellofiore 1996). [10]

Hirschs unkritische Betrachtung der Zeit nach 1945 führt ihn zu zwei Schlußfolgerungen: erstens, daß es im Postfordismus jetzt aber wirklich ums Überleben gehe, und zweitens, daß die postfordistische Zukunft so aussehe wie die präfordistischen Verhältnisse: Angesichts der Anhäufung unbezahlbarer Schulden, der Massenarbeitslosigkeit, sozialer Verwerfungen, niedriger Investitionen usw. habe der Kampf des Neoliberalismus um die Lösung der nach wie vor bestehenden Widersprüche der Weltwirtschaft soziale Umwälzungen ausgelöst und damit in einigen Fällen barbarische Regimes an die Macht gebracht. Genau so, wie Hirsch die Globalisierung ausmalt, hatte Polanyi (1977) im wesentlichen die Verhältnisse der frühen 30er Jahre dargestellt. Polemisch könnte man behaupten, daß Hirsch die Tragödie der 30er Jahre als Farce der 90er Jahre darstellt.

Laut Hirsch untergräbt die Globalisierung des Kapitals die demokratischen Grundlagen und die Steuerungsfähigkeit des Nationalstaats. Damit überbewertet er aber nicht nur wie gesagt die Fähigkeit der Nationalstaaten, die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse zu »regulieren«, sondern er widerspricht auch seiner eigenen Ausgangsthese, nachder der Wettbewerbsstaat ein »aktiver« Staat sei, der sein Territorium für Kapitalinvestitionen »zuzurichten« versuche. Im Gegensatz zum alten präfordistischen Wettbewerbsstaat, der dem Kapital hinterhergezogen sei, indem er sein Territorium durch Krieg und imperialistische Eroberung vergrößerte, sei er den Forderungen des Weltkapitals als territorial feststehende Einheit unterworfen. Andererseits lasse die postfordistische Globalisierung den Nationalstaat aber nicht etwa links liegen, sondern »der Staat selbst« betreibe die neoliberale Globalisierungspolitik. Damit widerspricht Hirsch sich aber selbst, denn damit wäre die staatliche »Steuerungsfähigkeit« nicht überflüssig, sondern eigentlich noch größer geworden. Hirsch argumentiert mit Scheuklappen: Der Fordismus zeichne sich dadurch aus, daß er durch einen »steuernden« Staat reguliert werde. Da der Postfordismus das Gegenteil des Fordismus sein soll, sei die postfordistische Regulation lediglich als starker Staat zu verstehen, der dem Wirken des freien Marktes mit Macht den Rücken decke. Diese Rückendeckungs-»Funktion« des Wettbewerbsstaats wird Hirsch wohl aber nicht mit dem Verlust der sogenannten Steuerungs- oder Regulierungsfähigkeit des Staats gleichsetzen wollen. Immerhin sagt er selbst, daß der Wettbewerbsstaat versuche, die Ressourcen innerhalb seines Territoriums einschließlich der Bevölkerung zu mobilisieren, um das Diktat des »globalen« Kapitals auf der Suche nach profitablen Standorten zu erfüllen. [11] Diese Art von Mobilisierung zählt laut Hirsch aber nicht als »Steuerung«, da er diesen Ausdruck einer links-reformistischen Vorstellung von einem wohlregulierten und gerechten, d.h. sozial und ökologisch verantwortungsvollen Kapitalismus vorbehält.

Hirsch glaubt, daß die Globalisierung zur Errichtung eines neuen sozialpolitischen Herrschaftssystems führe, das er als »zivilgesellschaftlichen Totalitarismus« bezeichnet (156). Dieses System mache seine Insassen immer mehr zu eindimensionalen Menschen im Marcuse\'schen Sinne. Hirsch meint sogar, daß die Entwicklung der postfordistischen Gesellschaft auf eben diesem eindimensionalen Menschen beruhe (161). So gebe es nicht nur keine »radikale, nicht-kapitalistische Alternative« (88), sondern die menschliche Existenz sei auch vollständig proletarisiert, da die menschliche Praxis auf bloße Eindimensionalität reduziert sei. Das hieße, daß die Menschheit zu einem bloßen Anhängsel oder zum menschlichen Faktor der unpersönlichen Mächte des globalen Kapitals geworden wäre.

Während die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen als eindimensionale Anhängsel der kapitalistischen Reproduktion aufgefaßt werden, mache die Globalisierung gleichzeitig aber deutlich, daß »der Kapitalismus [...] sich keineswegs als Fessel der Produktivkraftentwicklung« erweise (180). Ob die Krise der Produktivität tatsächlich überwunden ist, ist natürlich nach wie vor sehr umstritten, und man kann wohl behaupten, daß Hirsch hier die Selbstdarstellung des Kapitals mit der Realität verwechselt. Es besteht kein Zweifel, daß »die Bourgeoisie [...] nicht existieren [kann], ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren« (Marx/Engels, MEW 4, 465). Hirsch scheint diese Einsicht zu bestätigen. Aber im Gegensatz zu Marx geht Hirsch einseitig davon aus, daß »die lebendige Arbeitskraft in ihrer Gesamtheit dem unaufhaltsamen Marsch der Akkumulation unerbittlich unterjocht [...] [sei]: auf kurze, mittlere und lange Sicht sei das majestätische Einherschreiten des Kapitalismus dazu bestimmt, weiterzugehen, während sich seine Aporien am Horizont verflüchtigen« (Gambino 1996: 143). Der Klassenkampf ist für Hirsch wie gesagt »in erster Linie der Kampf zwischen einzelnen Kapitalen und Kapital-\'Fraktionen\' [...] Dagegen steht der Ausgang des Kampfes zwischen Kapital und Arbeiterklasse schon von vornherein fest, und die Frage ist nur, wieviel Wohlfahrt und wieviel Repression nötig ist, um die Unterwerfung der Arbeiterklasse zu sichern« (Clarke 1991: 16). Kurz gesagt bewegt sich Hirsch mit seiner Behauptung, daß »das Kapital« die Krise der Produktivität überwinden könne, im Rahmen der herkömmlichen marxistischen Weisheit. Im Gegensatz zur marxistischen negativen Kritik am Kapital fragt Hirsch aber nur nach dem Fortbestand der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen, in denen die Arbeit ausgebeutet und beherrscht wird. [12] Die produktive und zersetzende Macht der Arbeit, die in verrückter Form das Kapitalverhältnis konstituiert, geht weder in seine Theorie ein, noch nimmt er sie überhaupt zur Kenntnis. Hirsch lehnt es ab, das Kapital als »etwas« zu verstehen, das von der Arbeit [labour] abhängig ist, da das Kapitalverhältnis für ihn grundsätzlich ein Verhältnis zwischen Kapital und Kapital ist, und nicht zwischen Kapital und Arbeit. Streiks und andere Ausdrucksweisen der Unzufriedenheit der Arbeiterklasse sind für die Entwicklung des Kapitalismus daher weniger wichtig als der Konflikt zwischen verschiedenen Kapital-»Fraktionen«. Deshalb wirft er Leuten [wie dem von Hirsch an dieser Stelle ausdrücklich erwähnten Karl Heinz Roth; Anm. d. Übers.], die die »Proletarität« nach wie vor als Frage des Klassenkampfs diskutieren, ein »Wunschdenken« vor, »das die Struktur und Dynamik des \'postfordistischen\' Kapitalismus ... überhaupt nicht zu begreifen vermag« (173). Sein Buch setzt nicht nur voraus, daß die »Proletarität« für die derzeitige Entwicklung des Kapitalismus unwichtig ist, sondern es zeigt auch großes Vertrauen in die Verlautbarungen der Vorstandsetagen: Die Krise der Produktivität sei ausgestanden und die Marktwirtschaft habe ihre strukturelle Krise überwunden.

Während Hirsch die Frage der Produktivität und der Stabilität des Kapitalismus also für gelöst hält, sei aber noch nicht ausgemacht, wieviel »soziale Repression« genau nötig sei. Darauf fußt sein Vorschlag, die Linke solle gegen das demokratiefeindliche neoliberale Projekt der Globalisierung eine Strategie des »radikalen Reformismus« entwickeln (170). Die Globalisierung des Kapitals und der daraus folgende »Wirtschaftskrieg« zwischen den Staaten um die Anlockung und Bindung der Produktion auf ihrem Territorium führe zur Schaffung einer schlanken Demokratie oder »low-intensity-democracy« (169). Obwohl hinlänglich bewiesen ist, daß es mit der Demokratie schon in der Nachkriegszeit einschließlich des goldenen Zeitalters des Fordismus bergab ging (Agnoli 1967/1990), tut Hirsch also so, als sei der Fordismus »demokratisch verfaßt« gewesen.

Er sieht den Neoliberalismus als Projekt der Entdemokratisierung durch Globalisierung. Die nationalen Regierungen selbst hätten die kapitalistische Globalisierungsoffensive entfesselt - nicht um die Nationalstaaten aufzulösen, sondern um den Keynesianismus und damit die staatszentrierte fordistische Regulationsweise zu zerschlagen (90). Aufgrund dieser Zerschlagung könnten die nationalen Regierungen behaupten, daß ihre sozialpolitische Bewegungsfreiheit durch die Globalisierung eingeschränkt sei, und von der im Fordismus betriebenen allumfassenden gesellschaftlichen Integration durch ein umfassendes sozialökonomisches Regulierungsprogramm zu einer selektiven Integration der gesellschaftlichen Interessen übergehen. Die neoliberale Globalisierungsstrategie solle also die Krise des Fordismus lösen, indem nicht nur die Grundlagen des kapitalistischen Profits wiederhergestellt, sondern auch die wirtschaftlichen Kosten der Demokratie gesenkt würden. Die neoliberale Vorstellung von Demokratie beruhe auf Marktkriterien wie Leistungsfähigkeit, Effektivität und Wirtschaftlichkeit. Das ist mit dem Begriff »Demokratie niedriger Intensität« gemeint: Im Wettbewerbsstaat beschränke sich die Demokratie auf die »die Ausgestaltung der Details«, während die »Enscheidung über grundlegende gesellschaftliche Ziele und Entwicklungswege« (139) dem Markt überlassen werde. Flexibilisierung und Liberalisierung/Deregulierung würden also benutzt, um einen weltweiten Restrukturierungsprozeß in Gang zu setzen, der möglichst günstige Ausbeutungsbedingungen sichere (104) und den Nationalstaat wesentlich wirksamer dem Diktat des Marktes unterordne (139). Der Weltmarkt werde also zu einem Werkzeug der Nationalstaaten, mit dem sie sich selbst den Sachzwang schafften, Billig-Demokratien zu etablieren. So gewinne der neue zivilgesellschaftliche Totalitarismus an »Legitimität«: da es ja keine Alternative zu Kostensenkung, Arbeitslosigkeit, Deregulierung und Lohnverzicht gebe. Niemandem könne die Schuld an den schlechter werdenden Bedingungen gegeben werden, da für alles die im globalisierten Kapital »personifizierte« unsichtbare Hand verantwortlich zu sein scheine. Dem neoliberalen Projekt eines individualisierten gesellschaftlichen Marktes mit Ellenbogenmentalität entspreche also der Wettbewerbsstaat, der sich den Bedingungen der globalen Apartheid anpasse, indem er die Apartheid seiner eigenen Bevölkerung aufzwinge, um im »Wirtschaftskrieg« erfolgreich zu sein.

Emanzipation als demokratische Erneuerung: Neue Zeiten für die Linke

Obgleich es momentan keine Alternative zum Kapitalismus gebe, sei es dennoch dringend nötig, in die postfordistische Transformation des Kapitalismus zu intervenieren. Durch Interventionen müsse sichergestellt werden, daß der Postfordismus humanisiert und demokratisiert werde (187, 197). Es geht Hirsch also um die Bedingungen und die institutionellen Grundlagen der Demokratie jenseits des neoliberalen Wettbewerbsstaats. Er verficht sein Konzept eines »radikalen Reformismus« als politische Alternative zu der angeblich unpolitischen negativen Kritik des Kapitalismus, wie sie die radikale Linke betreibe. Es geht ihm darum, die destruktive Kritik in eine konstruktive, positive Kritik zu wenden, um realen Einfluß auf die Entwicklung des Kapitalismus zu nehmen. [13]

Der Postfordismus werde sich zwar zwangsläufig und unaufhaltsam durchsetzen, aber ob sich die neoliberale Spielart des Postfordismus durchsetze, sei noch offen. Bisher zeichne sich nämlich weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene eine überzeugende postfordistische Regulationsweise ab (174), bilde sich kein postfordistischer hegemonialer Block heraus (184) und bleibe die postfordistische Struktur unvollendet und immer noch durch soziale Kämpfe formbar (183; 186). Die Zwangsgewalt des Weltmarktes und die damit verbundene Schaffung des Wettbewerbsstaats stellt sich hier also nicht so eindeutig dar, wie es sich aus Hirschs vorhergehender Katastrophenprognose zu ergeben schien. Außerdem sei die neoliberale Entwicklung des Postfordismus keineswegs stabil (169). Das neoliberale Projekt der ungezügelten Marktkräfte könne die Krise des Fordismus also nicht lösen, denn es sei in sich schwach (170). Es gelinge dem Neoliberalismus nicht, weltweit soziale Akzeptanz und Zustimmung zu einer Apartheidpolitik zu erzeugen und zu mobilisieren. Zur Untermauerung seiner These, daß die Idee der Revolution veraltet, der Neoliberalismus in sich schwach und Demokratisierung dringend erforderlich sei, bezieht Hirsch sich dabei ausschließlich auf die mexikanischen Zapatistas. [14]

Wo sieht Hirsch im Rahmen seiner Analyse überhaupt die radikal-reformistischen Kräfte, die in der Lage wären, die kapitalistische Entwicklung demokratisch zu gestalten? Hirsch weicht einer direkten Antwort aus. Stattdessen zählt er eine lange Liste von Dingen auf, die der radikale Reformismus durchsetzen müsse, um das Überleben der Welt zu sichern. Die Krise des Fordismus und der Übergang zum Postfordismus führten zu tiefen Spaltungen in der Gesellschaft, und die gesellschaftlichen Antagonismen Rassismus, Sexismus, Nationalismus und »Kapital/Arbeit« bildeten ein unübersichtliches Netz gesellschaftlicher Kräfte, die sich aus strukturellen Gründen nicht auf ein gemeinsames Handeln verständigen könnten, sondern vielmehr in einem antagonistischen Verhältnis zueinander stünden. Das Programm des »radikalen Reformismus« müsse diese Spaltungen überwinden. Angesichts einer Vielzahl von gesellschaftlichen Antagonismen sei es aber äußerst schwierig, ein tragfähiges Programm zu entwerfen, das die verschiedenen Ansprüche auf nationaler und globaler Ebene zufriedenstellen könne (190).

Zum radikalen Reformismus gehören laut Hirsch außerinstitutionelle und institutionelle Politik und Kämpfe (199). Dabei gehe es darum, neue Formen politischer Kontrolle zu schaffen und die sozialen und politischen Rahmenbedingungen so zu reformieren, daß sich die kapitalistische Akkumulationsdynamik relativ stabil entfalten könne. Hauptziele des radikalen Reformismus seien die »Politisierung der Ökonomie« und die »Repolitisierung der Politik« (204). Hirsch behauptet sogar, es müsse dem radikalen Reformismus um »die Überwindung der überkommenen Gestalt des Staates überhaupt« gehen (194). Insgesamt scheint der radikale Reformismus für die Überwindung der bürgerlichen Trennung zwischen dem Politischen und dem Ökonomischen zu plädieren. Damit steht er zweifellos in der revolutionären Tradition. Das Problem an Hirschs Forderung ist aber, daß diese »Revolutionierung« nur die institutionellen Strukturen zur Absicherung der Ausbeutung der Arbeit reformieren soll. Dem radikalen Reformismus geht es lediglich um neu konfigurierte Rahmenbedingungen, in denen die kapitalistische Akkumulation weitergehen kann. In Wirklichkeit geht es dem radikalen Reformismus also gar nicht um die Überwindung der Trennung zwischen dem Politischen und dem Ökonomischen, sondern nur darum, die Strukturen neu zu arrangieren: Kein Wort zum Privateigentum und zum kapitalistischen Kommando über die Arbeit und nichts dazu, wie die Gesellschaft eine Autonomie gegenüber einem allumfassenden, alles durchdringenden Staat gewinnen könnte. In Wirklichkeit würde die Politisierung von Staat und Wirtschaft im Rahmen kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse zwangsläufig darauf hinauslaufen, daß die »gesellschaftliche Autonomie« gegenüber einer allumfassenden Regulationsweise den Kürzeren zieht. [15] Was Hirsch hier formuliert, läuft im wesentlichen auf das sozialdemokratische Konzept einer allmählichen, evolutionären Überwindung des Kapitalismus hinaus, wo die sozialen Verhältnisse liebevoll aber nachdrücklich von der Wiege bis zur Bahre reguliert werden. [16]

Dieses Konzept von allmählichen historischen Veränderungen läßt schon ahnen, wie die Organisationsstruktur des radikalen Reformismus aussieht. Hirsch behauptet, die Globalisierung habe einerseits die Bedeutung der Wissenschaft verstärkt und eine »verwissenschaftliche Gesellschaft« geschaffen (199). Deshalb reichten andererseits die traditionellen Mittel des Staats zur Steuerung der Gesellschaft durch Geld und Recht nicht mehr aus und funktionierten nicht mehr richtig. Die »Verwissenschaftlichung« der Kapitalreproduktion mache »die aktive Mitwirkung der Menschen bei der Gestaltung der sozialen Verhältnisse« (199) nötig. Diese aktive Mitwirkung sei aber immer weniger möglich, weil die menschlichen Beziehungen unter Globalisierung und Postfordismus völlig die Form von Beziehungen zwischen Dingen angenommen hätten (161; 181). Hier entsteht ein Dilemma: Soll etwa die erfolgreiche Regulierung des Postfordismus von der Kreativität eindimensionaler Menschen abhängig gemacht werden? Oder sollen wir akzeptieren, daß im verwissenschaftlichten Kapitalismus nur noch wissenschaftlich qualifizierte Menschen eine Chance haben, der Eindimensionalität zu entgehen und die Unvernunft des Kapitalismus gerecht zu bekämpfen? Die verwissenschaftlichte Reproduktion der Gesellschaft erzeugt die Illusion, es sei eine vernünftige und menschlichere Organisation der kapitalistischen Reproduktion möglich. Aber würde eine verwissenschaftlichtere gesellschaftliche Reproduktion wirklich ohne die schöpferische Zerstörung der Geldakkumulation, ohne die Arbeitslosigkeit wirklicher ArbeiterInnen, ohne die Zerstörung von Gemeinschaften und ohne die zunehmende Verwüstung der Umwelt auskommen?

Hirsch stellt eine lange Liste der wesentlichen Voraussetzungen für die Demokratisierung auf: eine wirklich demokratische Verfassung mit konkreten, positiven und konstitutionellen Werten statt vorformulierter formaler und abstrakter Absichtserklärungen und bloß negativer Rechte; eine auf die Volkssouveränität als offenen Prozeß ausgerichtete Verfassung; die »grundlegende Revision der politischen Beteiligungs- und Entscheidungsverfahren« (202). Weiterhin müßten institutionelle »Verfahrensregelungen und Prozeduren« ausgearbeitet werden, die durch eine Art gesellschaftlichen Korporatismus die Mitwirkung aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen ermöglichen, also eine Politik des »Runden Tisches« (201). Schließlich müsse in Verfassung und Institutionen die gesellschaftliche Kooperation in dezentralen, föderativen politischen Strukturen abgesichert werden (203). Kurz gesagt fordert Hirsch eine neue Verfassung (202). Erst auf dieser Grundlage lasse sich die herrschende Trennung zwischen Menschen- und Bürgerrechten überwinden und das Verhältnis zwischen ihnen demokratisch neu und anders definieren (203). Aber wenn der radikale Reformismus die Grenze zwischen Bürgerrechten und Menschenrechten neu definieren will, soll die Trennung zwischen dem Politischen und dem Ökonomischen eben nicht überwunden werden. Sie soll bloß neu definiert werden. So gesehen ist es auch kein Wunder, daß Hirsch kein Wort über das demokratischste Demokratie-Experiment verliert, das es je gab, nämlich den Rätekommunismus. Diese zutiefst demokratische Tradition nimmt er nicht einmal zur Kenntnis. Seine Forderung nach positiven Vorschlägen bezieht sich ausschließlich auf solche demokratischen Traditionen, die die Trennung zwischen dem Politischen und dem Ökonomischen schon voraussetzen. Letztlich geht es Hirsch mit seinen radikalreformistischen Vorschlägen also nur um die Neugestaltung der Ausbeutungsstrukturen.

Daß Hirsch die negative Kritik ablehnt, weil er positive Beiträge hören will, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Negative Kritik sei unpolitisch, da es kein revolutionäres Subjekt gebe. Daher schlägt er einen radikalen Reformismus vor. Leider aber scheint es genauso wenig eine radikalreformistische Bewegung zu geben wie eine revolutionäre Bewegung. Hirsch meint, zur praktischen Umsetzung des radikalen Reformismus bedürfe es lediglich »einer umfassenden und radikalen, das nationalstaatliche System überschreitenden demokratischen Bewegung« (204). Genau wie die, die er kritisiert, weil sie nach einem neuen revolutionären Subjekt suchen, sucht Hirsch nach einer demokratischen Bewegung, die sich den radikalen Reformismus zu eigen macht. Ohne demokratisches Subjekt läuft Hirsch mit seinen radikalen Reformen in Wirklichkeit nur dem Zeitgeist [dtsch. im Original] hinterher. Angesichts eines Zeitgeistes, der meist fröhlich ins Spirituelle abhebt, wirken Hirschs Bemühungen um konstruktive Vorschläge zur Überwindung des Neoliberalismus aber geradezu visionär. Bei ihm sorgen die Intellektuellen für die theoretischen Programme, und die demokratische Bewegung zwingt die politische Macht dann, sie umzusetzen. Da im Postfordismus aber der eindimensionale Mensch Wirklichkeit wird, sind letztlich wohl nur die von Berufs wegen in die wissenschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft Eingeweihten in der Lage, an den Runden Tischen zu sitzen. Das klingt weniger nach einer scharfen marxistischen Analyse als nach Max Webers »Politik als Beruf«, wobei diesmal diejenigen gemeint sind, deren Denken noch nicht von der postfordistischen Eindimensionalität korrumpiert ist. [17]

Schlußfolgerung

Ohne Zweifel hat sich der Kapitalismus im Laufe der letzten dreißig Jahre, seit der im Mai 1968 gipfelnden Welle von Unruhen, verändert. [18] Diese Kämpfe finden sich aber nirgendwo in Hirschs Werk wieder. Obwohl er die Bedeutung des Klassenkampfes für die Entwicklung des Kapitalismus betont, bleibt er letztlich reduktionistisch in der Methode und soziologisch im Ansatz. [19] Für ihn ist »das Kapital« kein antagonistisches gesellschaftliches Verhältnis. Die Arbeit sieht er nur in der Form der Lohnarbeit, d.h. im Sinne ihrer fetischisierten Auffassung als einer arbeitenden Ware, die durch die Quelle ihres Einkommens definiert wird. [20] Daher geht auch sein Begriff des Klassenkampfs von einem pluralistischen Gesellschaftsbegriff aus, wie ihn schon Marx schön in seiner »trinitarischen Formel« kritisiert hat. Da er die Arbeit nur in ihrer verkehrten Form als Lohnarbeit versteht, landet er außerdem mit zwingender Logik bei einem Katalog von gesellschaftlichen Antagonismen wie Rassismus, Patriarchat usw. [21] Diese sind ohne Zweifel sehr wichtig, und Hirsch hat recht, wenn er ihre Bedeutung für die Reproduktion der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse betont. Da er aber einen pluralistischen Begriff vom gesellschaftlichen Konflikt hat, setzt er zugleich schon dessen Auflösung voraus: Das Kapital regiert die Welt. Da er die gesellschaftlichen Konflikte aus den strukturellen Widersprüchen des Kapitals ableitet, sind sie durch den vom Kapital gesetzten strukturellen Rahmen konstituiert und fest in ihm verankert. Wie Althusser geht Hirsch davon aus, daß das soziale Handeln strukturell determiniert ist, »daß es immer noch das Kapital selbst und die von ihm \'objektiv\', hinter dem Rücken der Akteure gesetzten Strukturen sind, welche entscheidende Bedingungen von Klassenkämpfen und Krisenprozessen setzen« (Hirsch/Roth 1986: 37). Da läßt sich eigentlich nur noch eine Schlußfolgerung ziehen: Kämpfe gegen die kapitalistische Entwicklung haben keine Zukunft. Ferruccio Gambino (1996: 145) hat völlig recht, wenn er sagt, daß »den Regulationisten ... Streiks, Kampagnen und Konflikte in der Produktion wie ein vorpolitischer Spuk, ein Mittelding zwischen interessantem Zierrat (dem die universitäre Forschung keine Aufmerksamkeit schenken kann) und Überbleibsel« vorkommen. Das geht aber an Hirsch vorbei: Hirsch hat immer wieder betont, »daß wir uns von einigen anachronistischen Auffassungen von Politik und Klassenkampf verabschieden und theoretisch Marx mit Weber versöhnen müssen« (siehe Hirsch 1984). Wir sollen also die negative Kritik der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse von Marx mit der Befürwortung des Prinzips der rationalen Organisation von Weber versöhnen - als hätte Marx nur die irrationalen Elemente des Kapitalismus kritisiert, um sie durch eine gute, rationale Organisation zu überwinden. Clarke (1991: 49) weist darauf hin, daß Hirsch mit seinen Fragestellungen »politisch wie theoretisch immer dem \'soziologischen Ansatz\' der Frankfurter Schule (der von Offe und Habermas verkörpert wird) treu geblieben ist, mit dem er angefangen hatte«. Und da Hirsch meint, die entscheidenden Bedingungen des Klassenkampfs würden immer vom Kapital in Bewegung gesetzt, ist es kein Wunder, daß er das neoliberale Projekt des postfordistischen Wettbewerbsstaats auf eine Weise schildert, als hätte er aus Marketingbüchern und Managermagazinen abgeschrieben. Trotzdem sollten wir Hirschs Werk nicht abtun - im Gegenteil, wir müssen es ernstnehmen: Ein Postfordismus als globales Apartheidsystem ist tatsächlich eine erschreckende Möglichkeit. Nicht wegen der »Globalisierung«, sondern weil es schon immer im Kapitalverhältnis angelegt ist. Der Kapitalismus beruht nicht nur auf der Barbarei der ursprünglichen Akkumulation, sondern seine Reproduktion besteht in der erweiterten Akkumulation von Kapital: Die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse beruhen darauf, daß die Arbeit von den Produktions- und Subsistenzmitteln getrennt und gesellschaftlich als Privateigentum konstituiert wird. Hirschs Buch macht eindringlich klar, daß das »Opfer von \'menschlichen Maschinen\' auf den Pyramiden der Akkumulation« (Gambino 1996: 160) unbedingt gestoppt werden muß. Diese Aufgabe hält er aber für unpolitisch. Das Interessante an Hirschs Buch ist, daß er den kapitalistischen Jargon als unausweichliches Schicksal ausgibt.

Bevor wir zu Hirschs Globalisierungsbegriff kommen, sollten wir festhalten, daß das Kapitalverhältnis schon immer ein globales Verhältnis ist. »Der Weltmarkt bildet«, so Marx, »ebenso die Voraussetzung des Ganzen und seinen Träger« (Marx, 1953, 139). Am globalen Charakter der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse ist nichts Neues. Schon der Klassiker der politischen Ökonomie, Ricardo, bezeichnete den »Staat« als »Wettbewerbsstaat«. Schon 1827 meinte er, der Staat solle nicht versuchen, Arbeitsplätze zu erhalten, indem er Investitionen verhinderte, denn »wenn es einem Kapital nicht erlaubt wird, den größten Nettogewinn zu machen, der sich hier mit dem Einsatz von Maschinen erzielen läßt, dann wird es ins Ausland abwandern«, was »die Nachfrage nach Arbeit ernsthaft beeinträchtigen wird« (Ricardo 1927/1980: 39). In eine ähnliche Richtung argumentierte Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie, als er schrieb, die bürgerliche Gesellschaft sei in der Form des Staats zusammengefaßt und der Weltmarkt bilde den Abschluß, das Substrat der bürgerlichen Verhältnisse. Die »Globalisierung« der Konkurrenz habe nicht nur den Weltmarkt geschaffen. »Sie erzeugte insoweit erst die Weltgeschichte, als sie jede zivilisierte Nation und jedes Individuum darin in der Befriedigung seiner Bedürfnisse von der ganzen Welt abhängig machte und die bisherige naturwüchsige Ausschließlichkeit einzelner Nationen vernichtete« (Marx/Engels, MEW 3, 60) Da das Kapitalverhältnis global ist, können sich die Nationalstaaten der harten Hand der Wertform nicht entziehen: Das macht ihren Klassencharakter aus. »Daraus ergibt sich unmittelbar, daß der Nationalstaat nicht über dem Kapital stehen kann, da das Kapital ein globales Phänomen ist. Er kann also nicht über dem Wertgesetz stehen und der kapitalistischen Produktion eine alternative \'politische\' Regulierungsform aufzwingen, wie Hirsch es für möglich hält, denn das Wertgesetz wird den einzelnen Staaten ebenso wie den einzelnen Kapitalisten durch den internationalen Wettbewerb aufgezwungen« (Clarke 1991: 54). Anders als Hirsch meint, kann die Kritik der politischen Ökonomie also nicht von der Perspektive des Nationalstaats und seiner Nationalökonomie ausgehen. »Jede nationale Ökonomie kann adäquat nur als im Einzelfall mehr oder weniger nach innen gewandtes, gleichwohl stets integrales Element des Weltmarkts begriffen werden, der nationale Staat (...) seine entsprechende Bestimmung nur in diesen Dimensionen erfahren« (von Braunmühl 1976: 276). Das Verhältnis zwischen Nationalstaat und »Gesellschaft« ist schon immer als Verhältnis zwischen Nationalstaat und globalem Kapitalverhältnis konstituiert. Nur in diesem globalen Zusammenhang »kommen alle Widersprüche ins Spiel« (Marx, 1953). Die globalen kapitalistischen Verhältnisse sind alles andere als neu, sondern sie konstituieren den »Staat«, seit es ihn gibt (Burnham 1996).

Hirsch schließt sich der gängigen Sichtweise der - postfordistischen - Globalisierung an: Die Globalisierung beruhe auf dem technologischen Fortschritt, einschließlich Kommunikationssystemen und Verkehrsmitteln, auf der wirtschaftlichen Globalisierung im Sinne einer internationalen Flexibilisierung »des Kapitals«, auf der politischen Öffnung von Kapital- und Finanzmärkten und schließlich auf der zunehmenden Regionalisierung (103). Außerdem schaffe und verstärke die weltweite Bewegung des Kapitals eine »Vielzahl von nationalen Kapitalismen« (Hirsch 1989: 92; siehe auch Hirsch 1995, Teil I). Hirsch versteht den Nationalstaat also nicht als Schnittpunkt, durch den hindurch die globalen Produktionsverhältnisse eine politische Definition und Bedeutung bekommen, sondern er meint, daß es verschiedene nationale Kapitalismen gebe, die in unterschiedlichem Maße und mit unterschiedlichen Folgen für den globalen »Kapitalismus« miteinander verbunden seien. Trotz »Globalisierung« bleibt der Nationalstaat für Hirsch der zentrale Bezugspunkt. Diese neorealistische Sichtweise bestätigt die Trennung zwischen der politischen und der ökonomischen Form: Hirsch sieht das Politische als inländisch und das Ökonomische als global. In Wirklichkeit sind die Nationalstaaten aber nicht voneinander isoliert, sondern leben von der sich global vollziehenden Akkumulation des Kapitals (Holloway 1996). Das heißt, daß das Politische und das Ökonomische »getrennt in der Einheit« sind (dazu Bonefeld 1992). Hirsch dagegen geht fälschlicherweise davon aus, daß dem Kapitalverhältnis strukturell schon die Trennung des Politischen vom Ökonomischen zugrundeliegt (Clarke 1991). Daß er pluralistisch von einer Vielzahl von nationalen Kapitalismen ausgeht und den Klassenantagonismus zwischen Kapital und Arbeit pluralistisch in eine Soziologie der Antagonismen zersplittert, bestätigt mich nur in der Einschätzung, daß sein Vorschlag eines »radikalen Reformismus« schlecht dazu taugt, die Krise der kapitalistischen Akkumulation in den letzten 25 Jahren in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen. Die Begrenztheit des radikalen Reformismus und von Hirschs Buch als Ganzem liegt darin, daß er die fetischhafte Kanalisierung des Klassenkampfs in getrennte ökonomische und politische Kämpfe akzeptiert und deshalb meint, die Gesellschaft ließe sich durch die bloße Eroberung der politischen Institutionen verändern, daß er mit einem Wort in typisch reformistischer Weise die bürgerliche Ideologie übernimmt. [22]

Nachbemerkung

Die Anziehungskraft des »Reformismus« liegt darin, daß er sich konstruktiv bemüht, die Welt zu verbessern, ohne die Ausbeutungsverhältnisse zu destabilisieren. »\'Wo bleibt das Positive?\'. In der dürftigen Zeit finden wir es nur in der Negation« (Agnoli 1990). Solche Meinungen findet Hirsch zutiefst anachronistisch. Wie würde er reagieren, wenn die Revolte ausbricht oder wenn ArbeiterInnen einfach für bessere Bedingungen streiken? Würde er sagen, daß ihr Streik anachronistisch, ja unpolitisch sei und dem radikalreformistischen Projekt der Demokratisierung der Staatsintervention - einschließlich der demokratischen Regulierung von Gesetz und Ordnung - schade? Daß er die »geschichtliche Aufgabe« der Vernunft nicht darin sieht, »Unbotmäßiges anzustiften und das jeweils Infame ... einfach zu zerstören« (Agnoli 1990), läßt nichts Gutes ahnen. Ansätze wie die von Hirsch wollen die negative Kritik am Kapitalismus in konstruktive demokratische Vorschläge für eine gerechte, sozial verantwortliche und ausgewogene Ausbeutung der Arbeit verwandeln. Man kann nur hoffen, daß die Vertreter dieser Vorstellungen nicht so verblendet und borniert sind, daß sie die absehbare Katastrophe denen anlasten, die sich einer Entwicklung entgegenzustellen wagen, die schon immer eine Katastrophe war.

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Fußnoten:

[1] Zur Kritik von Hirschs Arbeiten zum Fordismus siehe Bonefeld (1991), Clarke (1988/1991, 1991), Gambino (1996), Pelaez/Holloway (1991) und Psychopedis (1991).

[2] Alle Seitenangaben ohne weiteren Hinweis beziehen sich auf Hirsch (1995).

[3] Siehe dazu Mandel (1987) und Bonefeld (1993, 1996).

[4] Hirschs Ansatz gleicht spiegelbildlich dem orthodoxen Marxismus, der das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate als Gesetz vom zwangsläufigen Zusammenbruch des Kapitalismus verstand (Grossmann 1929/1992). Hirsch dagegen versteht es lediglich als Vehikel zur zwangsläufigen Wiederherstellung der kapitalistischen Ausbeutung und Herrschaft.

[5] Zur Kritik der Periodisierung der Staatsform nach den vom Staat ausgeübten »Regulierungsfunktionen« siehe Clarke (1997).

[6] Siehe Hirsch (1980).

[7] Hirschs widerspricht sich hier letztlich selbst. In seinem theoretischen Kapitel zur Form des kapitalistischen Staats sagt er, die Funktion des Staats bestehe darin, die politischen Bedingungen zu sichern, die ein gutes Funktionieren der kapitalistischen Akkumulation ermöglichen. Da das laut Hirsch die funktionale Bestimmung des kapitalistischen Staates ist, ergibt seine Warnung, daß der Wettbewerbsstaat zum gewissenhaften Vollstrecker seiner funktionalen Bestimmung werde, keinen rechten Sinn.

[8] Zu einer vom Klassenstandpunkt ausgehenden Analyse dieser Behauptung siehe Bonefeld/Holloway (1995). Dort wird ausgeführt, daß sich die Arbeiterklasse [labour] durchaus nicht auf dem Abstellgleis befindet, sondern vielmehr aufgrund ihrer unaufhörlichen Auflehnung allen Schwierigkeiten des Kapitals zugrundeliegt.

[9] Siehe Clarke (1988/1991), Bonefeld (1991) und Bellofiore (1996).

[10] Zum globalen Agieren des Kapitals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Clarke (1988).

[11] Im übrigen besteht kein Zweifel, daß die »Nationalstaaten« ebenfalls sehr aktiv und zielstrebig an der Sicherung eines neuen »Konstitutionalismus« arbeiten, indem sie versuchen, die Binnenrechte des Kapitals zu institutionalisieren, und zwar nicht indem sie »der Globalisierung des Kapitals hinterher laufen«, sondern indem sie regionale Institutionen wie EU, NAFTA und ASEAN errichten. Angesichts dieser regionalen Kooperation zwischen Nationalstaaten verliert Hirschs Bild vom Wettbewerbsstaat an Überzeugungskraft. Der Versuch der Errichtung von »Wirtschaftsblöcken« deutet darauf hin, daß die Weltwirtschaft nicht so »offen« ist, wie der Ausdruck Globalisierung andeutet. Regionalismus bedeutet die Schaffung von »geschlossenen« Räumen. Siehe dazu Ruidrok und van Tulder (1995).

[12] Siehe Fußnote 1.

[13] Daß Konflikte als konstruktive Konflikte dargestellt werden, steckt schon im Begriff der pluralistischen Gesellschaft und findet sich in allen möglichen Theorien von den industriellen Beziehungen bis zur parlamentarischen Demokratie. Die Erkenntnis, daß eine pluralistische Gesellschaft ohne Konflikte nicht möglich ist, heißt aber nicht, daß Konflikte provoziert werden sollten, sondern vielmehr, daß es alle möglichen Regeln, Verfahren und Gesetze geben muß, um die Konflikte zu regulieren und dafür zu sorgen, daß sie sich in konstruktiven Formen ausdrücken. Eine Theorie der Funktionalität von Konflikten hat z.B. Coser (1956) entwickelt. Im Rahmen des Marxismus hat Poulantzas (1974), auf den Hirsch sich stützt, diese Theorie weiterentwickelt. Siehe dazu Agnoli (1967/1990; 1990).

[14] Hirsch hält die Zapatistas für eine postmoderne Form von Widerstand. Diese Sichtweise ist symptomatisch. So wie die Regulationisten das »Kapital« als einziges Subjekt von Bedeutung sehen, halten die Postmodernisten Widerstand nur für »leere Bedeutung« (Laclau, 1994).

[15] Natürlich ist »Autonomie« ein höchst zweifelhafter Begriff. In Hirschs Argumentation spielt die gesellschaftliche Autonomie aber eine wichtige Rolle. Nicht, daß er Autonomie als revolutionäre Forderung nach gesellschaftlicher Autonomie und somit nach Abschaffung der Form des Staats versteht. Er meint mit Autonomie eine gesellschaftliche Autonomie im Kapitalismus. Das folgt aus dem Begriff der »Verstaatlichung« [statification], der impliziert, daß es etwas außerhalb der regulierenden Überwachung durch den Staat gebe und daß dieses Etwas immer mehr der liebevollen Umarmung eines ausufernden Sicherheitsstaates unterworfen werde. Anscheinend will der Radikale Reformismus mit seiner Forderung nach Politisierung die »böse« Verstaatlichung der Gesellschaft durch die »gute« Regulierung der neuen Staatsbürgerschaft ersetzen.

[16] Siehe Naphtalis Begriff von industrieller Demokratie und die sozialdemokratischen Visionen eines gerechten Kapitalismus, der auf den Bürgerrechten für die ganze Gesellschaft beruht. Diese »Politisierung« kämpfte gegen die revolutionäre Desintegration und versuchte die potentiell Subversiven stattdessen in die Pflicht der Verantwortung zu nehmen. Würde Hirschs Konzeption einer »politisierten Ökonomie« die ArbeiterInnen nicht der gleichen Pflicht unterwerfen und damit ihre potentielle Unzufriedenheit in die verantwortungsvolle Anerkennung der These überführen, daß die effiziente Ausbeutung ihrer eigenen Arbeitskraft für das Bestehen im weltweiten kapitalistischen Wettbewerb notwendig sei?

[17] Siehe Weber (1984) zur Rolle, die die Intellektuellen spielen sollten.

[18] Siehe dazu Bonefeld/Holloway (1995) sowie Negri 1988, Negri 1989 und Negri 1992.

[19] Siehe Clarke 1991, Psychopedis 1991, Bonefeld 1992 und Holloway 1991.

[20] Zu einer Kritik dieser Auffassung siehe Bonefeld (1997) und Holloway (1997).

[21] Hirschs Soziologie gesellschaftlicher Antagonismen widerspricht der Auffassung, daß die theoretischen Geheimnisse ihre Lösung in der menschlichen Praxis und der gedanklichen Durchdringung dieser Praxis finden (vgl. Marx). In der klassischen politischen Ökonomie wurde die Gesellschaft im Sinne ihrer ökonomischen Verfaßtheit verstanden. Das klassische Statement dazu stammt von William Robertson (1890: 104), der behauptete, daß sich »in jeder Untersuchung bezüglich des Handeln von Menschen, die in einer Gesellschaft vereinigt sind, die Aufmerksamkeit zunächst auf ihre Subsistenzweise richten sollte«. Diese Behauptung mag einigen zwar als völlig reduktionistisch vorkommen, aber dennoch stimmt es, daß postmoderne Untersuchungen über die Nichtexistenz bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse ohne Essen, Wohnung, Kleidung und andere materielle Annehmlichkeiten schlicht und ergreifend unmöglich wären. Frei nach Brecht: Erst kommt das Fressen, dann die Postmoderne.

[22] Vgl. Holloway/Picciotto (1976).



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