Historien von der Heimatfront -
über die Demokratisierung des Unfalls

Matthias Bickenbach and Michael Stolzke



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Levée en masse !

Es war einmal eine Zeit, da machte das Automobil den Menschen zum Herrenfahrer. Selbstlenkend überfuhr er die Landschaft, scheuchte Pferde auf, stob Federvieh und Menschen auseinander oder fuhr sie einfach tot. Anschließende Unfallflucht war nicht selten. So wurde der Herrenfahrer zum "wilden Autler". Zwar verleiht die Fortbewegung in der Geschwindigkeitsmaschine Ansehen und Potenz, die den einzelnen auszeichnen, zugleich aber bedeuten Freiheit, Mobilität und Individualität Anarchismus, solange sie nicht demokratisiert sind. Später, nachdem Straßen und ihre Verkehrsordnung als Kulturfortschritt gefeiert worden sind, taucht der wilde Fahrer mit altem Erschrecken als Geisterfahrer im allgemeinen Automobilismus wieder auf. Entsetzte der wilde Fahrer durch seine Geschwindigkeit, welche die Regeln des öffentlichen Lebens zerstörte, bedroht der Geisterfahrer seine Komplizen durch konsequente Umkehrung der Fahrtrichtung. Geisterfahrer erinnern durch ihren Anarchismus an die ursprüngliche Mentalität der Herrenfahrer, die sich selbstlenkend, frei und individuell im Raum bewegten. Metonymie: Setzung eines Teils als das Ganze. Der Preis, den die automobile Geschwindigkeit für Freiheit und Beglückung ihrer Passagiere zahlen läßt, bemißt sich in der Zahl der Opfer. Deshalb muß die Lobby auch blind sein für den ungeheuren Apparat und Verwaltungsdienst, den Automobilität erst einmal benötigt. Richten sich frühe Empörungen an den Staat als Garanten der öffentlichen Ruhe, so wird dieser in Folge für das gleiche Ziel mit umgekehrten Vorzeichen in die Pflicht genommen. Der Staat habe nicht die Autofahrer als Gefahr zu reglementieren, sondern die Öffentlichkeit in die Schranken zu weisen, damit sie keine Gefahr für die Autos mehr darstellt. Was geschieht, ist eine folgerichtige metonymische Operation. Wenn das Automobil zum Kollektivsymbol moderner Gesellschaft werden kann, dann ist es nur konsequent, daß der Symbolträger das Maß aller Dinge wird. Die gesamte Ordnung des öffentlichen Raumes wird nach seinem Bedarf umstrukturiert: Freie Fahrt für freie Bürger. Diese Operation wird bei gleichbleibenden Forderungen der Automobilisten in mehreren Schüben zur Realität. Heute definiert sich die Straßenverkehrsordnung (StVO) als Schutz aller Verkehrsteilnehmer, das heißt, nicht als Reglement für Autofahrer, die sich in einer Umwelt nicht fahrender Passanten bewegen, sondern als Verwaltungsapparat einer Öffentlichkeit, deren Störfrequenz möglichst gering bleiben muß. Individualität. Die Individualität, die das Auto repräsentieren soll, ist ein Effekt der Geschwindigkeit, der die Deformation von Menschen und Landschaften meint. Der kollektive öffentliche Raum wird, ebenso wie die Wahrnehmung der Fahrer, durch das Vehikel individueller Geschwindigkeit zerschnitten. Die Verletzten und Toten auf neuen und alten Straßen stehen für diese Individualität ein. Und früh schon weiß man, welcher Zustand dadurch geschaffen wird. Zitieren wir Eugen Diesel aus seiner "Autoreise" von 1905:

Eugen Diesel: Autoreise (1905), Leipzig 1941, S.190.

"Nein, was machten wir bei unserem Abschied aus Italien für einen Staub! So etwas habe ich in meinen ganzen Leben nicht wieder erlebt. Mehliger Kalkstaub lag fünf Zentimeter dick auf der Straße. Darauf jagte Georg, was der Wagen hergab, durch das Tal der Piave und hinter uns breitete sich ein ungeheurer Kegel aus. Der weiße Kegel hob sich und breitete sich endlos aus. Das ganze Tal der Piave war dick eingenebelt, bis hoch zur Bergflanke lag eine weiße Wolke über dem Tale. Wir entsetzten die Fußgänger wie mit einem Gasangriff, ihre Gesichter verzerrten sich, und wir ließen sie zurück in einer formlos gewordenen Welt, in der weithin Feld und Baum unter einer trockenen Puderschicht alle Farbe verloren hatten."

Automobilmachung.

Vgl. Heathcote Williams' pathetisches Epos: Automobilmachung. Frankfurt/M. 1992.

Das Automobil führt den "totalen Krieg" und Techniken wie den Blitzkrieg ein. Es hinterläßt eine "formlos gewordene Welt", weil Gestalt und Farben in der Dimension real gewordener Geschwindigkeitszonen ihre phänomenologischen Qualitäten verlieren. Der wilde Fahrer, der "jagt, was der Wagen hergibt", erfährt nur zu gut, daß ästhetische Kategorien wie Landschaft unter der Beschleunigung nur noch kontingente Effekte eines Rausches oder Rauschens sind. Eugen Diesels Zeugenaussage, deren Worte wohlgemerkt noch nicht vom Ersten Weltkrieg diktiert sind, hält metaphorisch fest, was schon bald auf Europas Straßen Wirklichkeit geworden sein wird: Verkehr als "kriegerischer Zustand". Mit einem Erkenntniszuwachs von 25 Jahren faßt Arnolt Bronnen in "Moral und Verkehr" den Fortschritt zusammen: "Der Verkehr begann als Luxus, und er endete als Terror." Marie Holzer: Das Automobil (um 1918). In: Das Autobuch. Hg. v. K. Roehler. Darmstadt 1983, S.13f. Aber auch Terror und Krieg benötigen ein Reglement. Was expressionistische Dichterinnen wie Marie Holzer noch als technisches Residuum des Anarchismus feiern wollen, besitzt eine Ordnung außerhalb der Körper, die Freiheit und Individualität zu konsumieren glauben. Holzers Text über das Jammern und Schaudern erklärt auch, weshalb es keine Regellosigkeit geben darf:

"Es rast, Schrecken verbreitend, durch die Welt, losgelöst von althergebrachten Gesetzen. Kein Schienenstrang schreibt ihm Wege vor; keine Pferdelunge zwingt ihn zu einem vorgeschriebenen Tempo, das in sich selber eingezogene Grenzen hat. Es ist der Herr der unbegrenzten Möglichkeiten."

Zur Genealogie der Verkehrsschilder vgl.Agentur Bilwet: Das okkulte Verkehrsschild. In: Medien-Archiv. Bensheim und Düsseldorf 1993, S.52-55. Das Auto ist per definitionem Grenzübertretung und Ekstase. Es ist "Herr der unbegrenzten Möglichkeiten" und von Geburt Anarchist. Deshalb zieht Benz' Patent nicht nur weitere technische Evolutionen, wie verbesserte Lenkung und Bremsen bis hin zu Stoßstangen, Fahrgastzellen und "Knautschzonen" nach sich, sondern auch die Notwendigkeit von Verkehrsschildern und Überwachungsinstitutionen wie Polizei, TÜV und StVO.
Schilder und Regeln geben nur Rahmenbedingungen für die Koexistenz aller Verkehrsteilnehmer vor. Doch den technischen Regeln der Geschwindigkeitsmaschine ist dies eine nur äußerlich "eingezogene Grenze", solange die Maschine jagen kann, was sie hergibt. Die Geschwindigkeitsfabrik. Die neue Ordnung, die das Automobil installiert, schreiben Industrie und Staat vor. Die Maschine Auto transportiert mehr als nur Lasten und Passagiere von A nach B. Das "denkende Erz" des Motors wird nicht nur metaphorisch zum Motor des Staates und seiner Volkswirtschaft, sondern kurbelt wörtlich die Konsumgüterwirtschaft an und demokratisiert Bevölkerungen im allgemeinen Begehren des Automobilismus. Seit den zwanziger Jahren darf dieser Motor unseres Wohlstandes nicht mehr zum Stillstand kommen. Es entsteht, was wir - mit Paul Valéry - die Geschwindigkeitsfabrik nennen.
Individualität und Freiheit bleiben auf der Strecke. Sie sind kommunikative Gespenster, die als Opfer nicht thematisiert werden. Denn als Industrieprodukt wird das Auto erst relevant, seitdem Serienproduktion, partielle Austauschbarkeit und der Absatz großer Stückzahlen möglich geworden sind. Und es werden genau diese Voraussetzungen gewesen sein, welche die Rüstungsgüterindustrie für die folgenden Weltkriege benötigt. Die industrielle Fertigung gibt den Takt der Geschwindigkeitsfabrik vor, der über öffentliche Medien, Werbung und Auto-Dichter demokratisch distribuiert wird. In den Anfängen des Vehikels wurden Motoren auf handgefertigte Chassis montiert. Es sind traditionelle Kutschenmacher und Wagenbauer, die Benz und Daimler beliefern. Kleinwagen, Dreiräder und Voituretten werden gebaut und als Luxusgüter an Herrenfahrer verkauft. Die 1894 aufgenommene Serienproduktion des Benz-Velos meint kaum mehr als ein Dutzend Fahrzeuge pro Monat. 1907 werden im Kaiserreich rund 10.000 Autos gezählt. In den USA dagegen hat die Zahl bereits die halbe Million überschritten. Henry Ford avanciert zum praktischen Gründervater der Demokratisierung des Unfalls, was Lenin und Hitler gleichermaßen beeindruckt. Der neue Schlachtruf lautet Gebrauchswagen statt Luxusvehikel. Fordismus.

Vgl. die Debatte über Marxismus oder Fordismus um 1925. Hier: K. Grünberg: Ford Motor Company (1924). In: Poesie & Maschine. Hg. v. M. Krause. Köln o. J., S.134ff.

Vgl.: Henry Ford: Mein Leben und Werk., Leipzig o. J., S.55ff. In Detroit gründet Ford 1905 seine Company. Die amerikanische Erfolgsstory Henry Fords gründet nicht nur auf der Einführung des Acht-Stunden Tages und der Lohnanhebung. Einher mit dem Fließbandtakt und der Uniformierung des Automobils, geht eine strikte Uniformierung der Arbeiter, gleiche Kleidung mit unterschiedlichen Identifikationsnummern.
Als Initiation der Ford-Motor-Company dient zwar ein gewonnenes Autorennen aber das ist nur die "Sportnuance". Ford setzt ganz auf die Massenproduktion als "eigentliche[s] Geschäft". Was er will, wie die erste Werbung propagiert, sind Alltagsfahrzeuge, die "gerade schnell genug" sind, um den normalen Bürger zu befriedigen. Das aber heißt: Beschleunigung genau bis über die Wahrnehmungsgrenze, nämlich bis man, so die Werbung, die "Augen aufreißen muß, um die Meilensteine zu zählen." Dieser allgemeine Automobilismus für alle steht natürlich in expliziter Absetzung zum wilden Fahrer.
1907 entschließt sich Ford, "ohne jede Vorankündigung", das Automobil selbst noch einmal zu uniformieren. Nach den Modellen "A", "B", "C" usw. läßt er die Kunden in einer Verlautbarung wissen, daß fortan nur noch das eine Modell "T" gebaut werde, aber daß sie jede Farbe wünschen könnten, "solange sie nur schwarz ist". In Deutschland fängt die Demokratisierung des Automobilismus nicht an anzufangen. Tagesstückzahlen von 25 bis 30 Fahrzeugen sind üblich. Es ist also im Sinne des Erfinders, wenn Benz eine Kommission zur Untersuchung der amerikanischen Fabrikationsmethoden über den Atlantik schickt.
Erst in den 20er Jahren werden in Europa Preßwerke eingeführt, die die Fertigung hoher Stückzahlen identischer Karosserien erlauben. Das zuvor übliche Beplanken von Holzkonstruktionen mit Blech mochte noch den Hauch manueller Herstellung besitzen. Die neuen Preßwerke aber zerstanzen endgültig den Mythos des individuellen Produkts durch die Uniformität aller Teile. In die Form des Blechs wird die Uniform der Massenware geprägt, die in ihrer Kombination als Auto den Fahrern Unteilbares bescheren soll. Individualität aber erhält das Fahrzeug erst, wenn es seine Uniformität verliert, wenn es deformiert sein wird. Der Kühler als Firmenlogo.

Vgl. Der Spiegel 3/94, S.273.

"Die Limousine hat bereits Ansätze von Schnittigkeit - auf eine fließende, un-Volvo-hafte [sic] Art, auch wenn typische Erkennungsmerkmale erhalten bleiben. So signalisiert der Kühlergrill zum Beispiel weiterhin Schutz im bösen Straßendschungel." So Garvin Green, Chefredakteur 'Car Magazin', in: Die Woche, 23. 8. 1996, S. 41.

In den Anfangsjahren bringt es die Zulieferung weniger Preßwerke an viele Automobilfirmen mit sich, daß verschiedene Marken gleiche Bauformen aufweisen. So wird der Kühler zum einzigen Ort signifikanter Unterscheidungsmerkmale der Hersteller. Andere Experimente, etwa mit den Kotflügeln, haben sich automobil-evolutionär nicht durchsetzen können. Die signifikante Funktion des Kühlers hat bis heute Bestand: Unter nicht weniger als vier Markennamen wird 1994 ein baugleicher Wagen vorgestellt. Es ist ein Großraumwagen der Hersteller Citroen, Peugot, Fiat und Lancia, der firmenspezifisch "einzig an Nuancen in der Gestaltung des Kühlergrills" identifiziert werden kann.
Der Kühler zentriert die Symbolik, welche die Industrie für ihr Produkt entwirft. An seiner Form, der Figur, die er trägt, sollt ihr ihn erkennen. Motorisierung zu Lande, im Wasser und in der Luft symbolisiert der Mercedes-Stern. Das Logo von BMW verweist auf deutlich gewordene menschliche Wahrnehmungsdefizite: Propellerdrehzahlen lassen die einzelnen Rotorblätter im blau-weißen Geschwindigkeitsemblem als Segmente stillstehen. Rasender Stillstand - Schwellenwerte, die Psychophysiker seit Ende des vorigen Jahrhunderts an allen fünf Sinnen des Menschen auszuloten beginnen.
Die Kühlerfigur des Rolls-Royce setzt dagegen auf die konservative Restauration goldener Zeitalter, auf Grazie und Anmut einer griechischen Siegesgöttin, auf die harmonische Fassade eines Tempels. Nimmt man die symbolischen Aussagen der drei Kühler zusammen, wird Marinettis Futuristisches Manifest von 1909 tatsächlich manifest: "... ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake." Plausibel, daß Marinetti eher BMW denn Rolls-Royce gefahren haben würde. Erwin Panofsky: The Ideological Antecedents of the Rolls-Royce Radiator. In: Proceedings of the American Philosophical Society. Vol. 107 (1963), S.273-288. Wie gut die emblematische Funktion des Kühlerortes institutionalisiert wurde, kann man einem berühmten Zeitgenossen entnehmen, der sich seinerseits für Rolls-Royce entschieden hat. Erwin Panofsky, Begründer der Ikonologie in der Kunstgeschichte, sieht im Kühler des Rolls-Royce schlicht die symbolische Inkarnation von zwölf Jahrhunderten originaler "british attitude". Das heißt: "the specifically Romantic preoccupation with infinity and night", welche die Lincoln Karosse und der Kühlergrill zum Ausdruck bringen. Die "ideologischen Vorgänger" stellen jedoch nicht mittelalterliche Architekturen und romantische Autoren dar, sondern, wie eine Fußnote erhellt, die persönliche Bekanntschaft Panofskys mit dem Vize-Präsdidenten von Rolls-Royce. Design und Kollektivsymbolik.

R. J. F. Kieselbach: Vom Torpedo-Phaeton zur Ganzstahl Limousine. Zur Geschichte des Automobildesigns. In: Das Automobil in der Kunst. Hg. v. R. Zeller, S.288.

Nach Rennsport und Marketing wird das Design in den 20er Jahren zum Instrument der Produktprofilierung. Die Form des Wagens wird differenzierter Ausdruck der Kollektivsymboliken, von Luxus oder Sportlichkeit, Eleganz und Erotik. Sie bildet eine Schnittstelle zwischen öffentlicher und individueller Wahrnehmung.
Die ersten Automobile legen noch ihre Herkunft von der Kutsche offen dar - auch in diesem Sinne Herrendiskurs. Ihre rudimentäre Funktionalität wird mit angestammten Symbolen ausstaffiert: "Unübersehbar war hier noch der Gedanke an die geschlossene Kutsche für die Passagiere und den offenen Bock für den Kutscher lebendig." Walter Gropius: Die neuen Adler-Wagen, (1931). In: Das Automobil in der Kunst, S.331. Die Kollektivsymbolik ermöglicht immer neue Konnotationen, öffnet sich den Diskursen der Zeit. Bis 1920 kommt der Bootsstil in Mode. Die Formen der Fahrzeuge evozieren die Erinnerung an das internationale Aufrüsten der Flotten - Tirpitz'sches Erbe und Matrosenanzüge für die Nachwuchsfahrer. Spitzkühler, spitz zulaufendes Heck und ausgekehlte Seitenwände (mitunter sogar Ruderpinnen und Fahnenstangen) bringen ab 1908 Formbewährtes imperialistischer Überseepolitik und das Vehikel des Fortschritts auf einen Nenner.
Sogenannte Stilkonsulenten beraten Automobilbauer, bevor die Industrie eigene Entwurfateliers einführt. In Frankreich statten Möbelkünstler wie Maurice Dufréne oder Künstlerinnen wie Sonia Delaunay-Terk Automobile für die feine Gesellschaft aus. Aber Kunsthandwerk und Luxusdesign sind längst wörtlich Art deco. Das Auto ist nur in den Parametern von Masse, Nutzen und Geschwindigkeit zu beschreiben. Walter Gropius konstatiert:

"daß maß der schönheit eines automobils hängt nicht von der zutat an schnörkeln und zierat ab, sondern von der harmonie des ganzen organismus, von der logik der funktionen... ."

"Die Stromlinienform hat den Charakter einer Metapher der Bewegung und versinnbildlicht darüber hinaus Freiheit, Erfolg und Modernität." J. Petsch: Geschichte des Auto-Designs. Köln 1982, S.110.

So schon Arnolt Bronnen: Triumph des Motors

In den 30er Jahren bietet sich ein neues Kollektivsymbol für das Design an, die Flottenpolitik ist überholt. Nicht mehr das Schiff steht Pate, sondern das Flugzeug und sein Ideal der Aerodynamik. Die motorisierte Dreifaltigkeit des Mercedessterns ist komplett. Öffentlichkeitswirksame Glanzleistungen wie Lindberghs Atlantiküberquerung von 1927 geben den entscheidenden Impuls. Mit dem Rekurs auf das Flugzeug gelingt die kombinierte Beschwörung von Geschwindigkeit, technischem Fortschritt und autonomer Mobilität. Die Werbung unterstützt diese Sinnstiftung, indem sie den Prestigecharakter der Autos herausstellt. Zu dieser Zeit ist die Demokratisierung des Unfalls bereits vorangeschritten. Dennoch fehlt in Deutschland der entscheidende Durchbruch zu Volkes Wagen. Die deutschen Automobilbauer leiden unter chronischer Kapitalschwäche. Gab es 1922 über 100 Automobilfirmen, sind es 1933 nur noch 16. 1926 fusionieren die Benz & Cie. Rheinische Automobil- und Motorenfabrik und die Daimler-Motorengesellschaft zur Daimler Benz AG. Als Kupplerin fungiert die Deutsche Bank - so wachsen Bündnisse über die Zeitwirren hinweg. Trotz der großen Fusionen finden Konstrukteure wie Ferdinand Porsche lange Zeit nicht die richtigen Geldgeber und Ansprechpartner. Erst Hitlers Pläne, das Volk auf kriegsgebahnten Wegen in "neue Lebensräume" zu befördern, wird mit Steuergeldern und staatlicher Arbeitsrekrutierung alle finanziellen Nöte beseitigen. Wirtschaftsstrukturen.

Sloanism

. Durch die Automobilindustrie erhöht sich die Internationalisierung der Wirtschaftsstrukturen. Als 1929 General Motors die Adam Opel Werke aufkauft, reagiert Ford sofort mit dem Bau eines eigenen Werkes in Köln. Die dort fabrizierten Produkte erhalten auf ihrem Kühlerschild neben dem Ford-Schriftzug den Vermerk: Deutsches Erzeugnis. In Rüsselsheim läuft zu dieser Zeit die erste Fließbandproduktion Europas an. Schon hat in den USA ein harter Verdrängungswettbewerb eingesetzt, der neben der Massenproduktion neue Instrumentarien erfordert.
Während Ford zur Einführung eines neuen Modells innerhalb von nur fünf Tagen für über 1 Mio. $ Anzeigen in großen Zeitungen und Magazinen schaltet, versucht General Motors sich mit der Einführung eines jährlichen Modellwechsels vom ewig gleichen Massenprodukten abzuheben. Der nach GM-Chef Alfred Sloan getaufte "Sloanism" wird als neue Form der Produktprofilierung dem "Fordism" entgegengehalten und produziert im jährlichen Takt der Geschwindigkeitsfabrik, sprich Autmobil-Salons, die "feinen Unterschiede", die individuelles Prestige garantieren sollen. Dieser Wettkampf wiederholt sich im Deutschland der Nachkriegszeit. Der Opel Kadett muß immer ein wenig besser sein, als der VW-Käfer.

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© Matthias Bickenbach, Michael Stolzke, Bonn 1996



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